L-6 Pinguin

Warum auch immer das Boot den ursprüngliche Namen „Wunsch III“ bekam, wird der damalige erste Eigner am besten Wissen. Sicher ist, das war nicht sein erstes Boot. Der Potsdamer Yacht–Club war bekanntlich einer der Mitinitiatoren der 30qm–Klasse. August Mütze war im Vorstand des PYC und so gab auch er ein 30qm-Boot der neuen Klasse in Auftrag. Konstrukteur war Franz Schmidt–Altherr, der 1915 auf dem Schlachtfeld bleiben sollte. „Wunsch III“ blieb also sein einziges L-Boot. Der Bau erfolgte auf der Werft der Brüder Engelbrecht. Das Boot hatte die Registernummer 6 und erhielt später die L–Nummer 6.

Schon im Mai 1914 startete die L–6 auf den ersten Regatten, allerdings mit bescheidenem Erfolg. „Perle IX“ (Seglerverein vom Offizierscorps des 1. Garderegiments – ja,ja, Segeln war Dienst an Kaiser und Vaterland), „Atout VII“ (Segel–Club Ahoi), „Motte“ (VSaW) waren die ersten Segelkonkurrenten. Auf fast allen Regatten des Frühsommers 1904 war die „Wunsch III“ vertreten und mal mehr und mal weniger erfolgreich. Der Erfolg hing auch immer damit zusammen, wer für den Eigner das Steuer führte. Diverse Verbandswettfahrten, ausgerichtet vom VSaW oder vom PYC, die Berliner Frühjahrswoche auf dem Müggelsee und auch die Dahme-Woche standen im Regattakalender der L–6.

Das Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914 änderte alles. Die Artikel in der Zeitschrift Yacht lassen die Zeit ungeahnt lebendig werden. Auch Die Yacht, auch der Segelsport wurde mit einem mal sehr patriotisch. Regatten wurden zunächst nicht abgesagt, sondern höchsten verschoben, denn man erwartete einen raschen und siegreichen Kriegsverlauf. Spätestens 1915 waren alle auf dem Boden der Realität angekommen.

Die weitere Entwicklung im Bootssport blieb folgerichtig aus. Es gab noch vereinzelte sog. Kriegsregatten. Doch wer will es den Seglern verdenken, dass sie andere Sorgen hatten. August Mütze verkaufte sein Boot 1915 an seinen Klubkameraden Grauert, der es unter den Namen „Anne“ segelte. Es gibt wenige Regatten in dieser Zeit und noch weniger Berichte über die L–6. 1918 gibt Herr Grauert das Boot an Carl Krieger ab, es wird umbenannt in „Else-Hertha“. Aber im gleichen Jahr wird die L–6 schon weiterverkauft und segelt als „Dixi II“ für Ernst Bendix. Alle Eigner waren im PYC.

Ab jetzt taucht das Boot nur noch im Bootsregister des DSV auf und man kann davon ausgehen, dass nur noch selten auf Regatten eingesetzt wurde, sondern der Familie Bendix als Nachmittagsboot dient.

Irgendwann verliert sich die Spur. Im Jahre 1926 wird die Dixi II aus dem Register des DSV gestrichen. Der Klassenschein ist erloschen.

Aber wie das so ist mit Segelbooten, es findet sich doch immer wieder eine Verwendung. Über welche Wege auch immer das Boot die dunklen Zeiten überstanden hat, taucht es 1950 auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik wieder auf. Ein Herr Peters von der SG Grünau an der Dahme (Seddin-See) wird im Register des Bund Deutsche Segler als Eigner geführt. Er brachte das Boot durch schwierige Zeiten, in denen wie einst im Kaiserreich auch der Segelsport politischen und gesellschaftspolitischen Zielen dienen sollte. Boote wie die L–6 waren für Ihre Besitzer wertvolle Freizeitobjekte und private Rückzugspunkte, aber sie passten zunehmend weniger in eine staatlich dirigierte Bootklassenentwicklung. Mit Booten aus der Kaiserzeit ist halt schwer die Überlegenheit des Sozialismus beweisbar.

Doch fand immer ein hartnäckiger Besitzer eine Nische. Irgendwann mutierte das ehemalige L–Boot zur einem 7KR-Kreuzer. Man mag es kaum glauben. Das Boot war unter dem Namen „Pinguin“ mit der Segelnummer VII / 34 beim Verein Einheit Ueckermünde registriert. Der Meßbrief trug die Nummer 5604. Die „Pinguin“ muss auch als 7KR eine gute Figur gemacht haben. Jedenfalls gewann sie ihre Klasse bei der Anklamer Herbstregatta 1967.

Der damalige Eigner, Dr. Fritz Müller, hatte das Boot 1962 erworben und von Berlin zum Stettiner Haff gebracht. Schnell war klar, dass das Boot in den Boddengewässern der Ostsee nur sehr bedingt segeltauglich war. Immerhin sollte es als Familienboot dienen. So ließ Fritz Müller seine „Pinguin“ umbauen und mit einer kleinen Kajüte versehen. Und damit ließ es sich doch gleich viel besser segeln – so gut, dass die „Pinguin“ noch heute im Besitz der Familie Müller ist und auf dem Haff gesegelt wird. Nach einigen Jahren an Land hat sein Sohn, Dr. Ekkehard Müller, das Boot nun übernommen, restauriert und wieder in´s Wasser gebracht. Immerhin hat er ja auf dem Boot das Segeln gelernt!

Wie ambitioniert man damals war, zeigt ein Bericht aus „Der Segelsport” von 1968. Fritz Müller gewann den Fahrtensegelpreis 1967. In diesem Wettbewerb zählte nur eines – Seemeilen. Und um zu gewinnen musste man richtig viel segeln. Der bester Einzelwert waren 103 km in 9 Stunden. Oft ging es schon in der Nacht zum Samstag raus und erst spät am Sonntag war man zurück. Am Ende stand der Pokal und ein Artikel mit Bild im “Segelsport”.

Vom „Wunsch“ zum „Pinguin“ – viel Geschichte, viele Geschichten, viele davon auch vergessen. Und die Müllers segeln nun seit über 50 Jahren ein L–Boot auf dem Stettiner Haff. Und das darf ruhig so bleiben.